Rund zehn Meter lang, weniger als einen Meter Tiefgang und 18 Knoten schnell – dies sind nur einige markante technische Daten des neuesten Seenotrettungsbootes der Freiwilligenstation Timmendorf auf Poel. Zur Taufe auf der drittgrößten Insel Mecklenburg-Vorpommerns am 21. April 2018 begrüßte die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) zahlreiche Gäste und viele Schaulustige.
Foto: DGzRS
Für die musikalische Umrahmung der feierlichen Taufzeremonie am Hafen von Timmendorf sorgte der Shantychor „Reriker Heulbojen“. Auf Wunsch der Mannschaft segnete Pastor (i.R.) Klaus Wilhelm Hasenpusch aus Lübow das neue Seenotrettungsboot vor der Taufe.
Neubau durch Nachlass finanziert
Ermöglicht wurde der Neubau mit der internen Bezeichnung SRB 70 durch den Nachlass eines engagierten Seglers. Seine Schwester Christiane Gonser taufte das Seenotrettungsboot auf seinen Namen WOLFGANG WIESE mit den Worten: „Ich wünsche Dir und Deiner Besatzung allzeit gute Fahrt und stets eine sichere Heimkehr.“ Die Liebe zum Meer – insbesondere zur Ostsee – teilte Wolfgang Wiese mit seiner Frau Barbara. Das Segeln war ihr gemeinsames Hobby. Ihre seglerische Heimat war die Kieler Förde. In Kiel hatten die beiden sich kennengelernt und geheiratet. 2016 sind beide Ehepartner – zunächst sie, dann er – im Abstand von nur wenigen Wochen verstorben. Beide wurden in ihrer geliebten Ostsee seebestattet.
„Unser oberstes Ziel ist es, unsere Besatzungen stets mit der besten Rettungstechnik auszustatten, um ihren mitunter gefahrvollen Einsätzen größtmögliche Aussicht auf Erfolg zu geben“, sagte Gerhard Harder, ehrenamtlicher Vorsitzer der DGzRS, in seinem Grußwort anlässlich der Taufe. „Ein Nachlass dieser Art gibt uns die Freiheit, einer Station ein neues, modernes und sehr sicheres Einsatzfahrzeug zu bieten, denn natürlich ist unser oberstes Ziel nicht nur, Menschen aus Seenot zu retten, sondern auch, dass unsere Besatzungen von jedem Einsatz heil und gesund zurückkehren“.
Für das kinderlose Ehepaar Barbara und Wolfgang Wiese hatte schon früh festgestanden, wer dereinst ihr Erbe sein sollte: die Seenotretter. Als Segler waren sie mehrfach Zeuge von Notrufen auf UKW-Kanal 16 geworden und hatten es immer als große Beruhigung empfunden, dass die Seenotretter Tag und Nacht erreichbar und einsatzbereit sind.
Das neue, 18 Knoten (ca. 33 km/h) schnelle Seenotrettungsboot WOLFGANG WIESE, gebaut auf der Werft Tamsen Maritim in Rostock, wird von einer Freiwilligen-Besatzung gefahren. Mit einem Tiefgang von lediglich 96 Zentimetern kann es auch im Revier um Poel mit seinen vielen Flachs seine vielfältigen Aufgaben erfüllen.
Turnusgemäße Modernisierung der Rettungsflotte
Die WOLFGANG WIESE ersetzt auf der Station Timmendorf das Seenotrettungsboot GÜNTHER SCHÖPS, das seit 1992 auf der Insel stationiert war. Gegründet wurde die Station Timmendorf nur wenige Jahre nach Gründung der DGzRS, spätestens im Jahre 1869 – sie wurde seinerzeit mit einem Ruderrettungsboot und einem stabilen Schuppen ausgestattet. Zahlreiche Segelschiffe gerieten damals vor der Küste Poels auf Legerwall, das heißt, in die auflandige Sturmsee, und gingen an der Küste verloren. Im Rahmen der technischen Weiterentwicklung kam 1936 das erste Motorrettungsboot zur Station, bis 1953 das Seefahrtsamt der DDR staatliche Seenotrettungseinrichtungen aufbaute. Timmendorf erhielt das Motorrettungsboot POEL. Dies blieb wiederum bis nach der Wende – nämlich bis 1992 – im Einsatz.
Bis Ende März dieses Jahres haben die 22 freiwilligen Seenotretter um Vormann Thomas Lietz das Seegebiet von der Ostseeinsel Poel aus mit der GÜNTHER SCHÖPS gesichert und dabei in zahlreichen Einsätzen Menschen das Leben gerettet. Die GÜNTHER SCHÖPS wurde jetzt außer Dienst gestellt.
Das neue Seenotrettungsboot, mit dem die Besatzung bereits am Ostersamstag (noch ungetauft) einem Seekajakfahrer das Leben rettete, ist ein modifizierter Typ der bewährten 9,5-m-Klasse der Seenotretter. Durch zwei Spanten mehr in der Länge verbessert er die Unterbringung und Behandlungsmöglichkeiten an Bord für Schiffbrüchige, Erkrankte und Verletzte. Die WOLFGANG WIESE ist eines von derzeit insgesamt zehn beauftragten Neubauten des gleichen Typs – das letzte von ihnen soll 2020 seinen Dienst aufnehmen.
Die Eckdaten der neuen Seenotrettungsboote:
• Länge über Alles: 10,1 Meter
• Breite über Alles: 3,61 Meter
• Tiefgang: 0,96 Meter
• Verdrängung: 8 Tonnen
• Geschwindigkeit: 18 Knoten (ca. 33 km/h)
• Besatzung: Freiwillige
• Antrieb: ein Propeller, 380 PS
Wie alle Einheiten der Seenotretter werden die neuen Seenotrettungsboote als Selbstaufrichter konstruiert und vollständig aus Aluminium im bewährten Netzspantensystem gebaut. Der Bootstyp zeichnet sich durch hohe Seetüchtigkeit aus. In Grundsee und Brandung besitzt er gute See-Eigenschaften, manövriert einwandfrei, übersteht heftige Grundstöße und ist in der Lage, dank des rundumlaufenden Fendersystems auch bei höheren Fahrtstufen und unter erschwerten Bedingungen bei Havaristen längsseits zu gehen.
Bei der Konstruktion wurden umfassende Sicherheitskriterien berücksichtigt. Die neuen Seenotrettungsboote werden mit modernster Navigationstechnik, leistungsstarken Schlepp- und Lenzgeschirren sowie einer umfangreichen Ausrüstung zur medizinischen Erstversorgung ausgestattet.